Bücher

Kleine Buchbesprechungen aus meiner Feder, erschienen im Stadtmagazin JOURNAL FRANKFURT

Wertung: * (Zeitverschwendung) bis ***** (herausragend).

Die dunkle Unermesslichkeit des Todes

Die dunkle Unermesslichkeit des Todes

Massimo Carlotto, Tropen bei Klett-Cotta, 18,90 Euro

Bei einem Raubüberfall wird die Familie des Weinhändlers Silvano getötet. Als ihn 15 Jahre später das Gnadengesuch des mittlerweile schwerkranken Mörders erreicht, ersinnt er einen perfiden Racheplan. Aus wechselnden Perspektiven entwickelt sich ein Psychogramm über Gerechtigkeit und Wiedergutmachung, in dem gewohnte Erwartungen auf den Kopf gestellt werden. Spannend, doch leider etwas zu hastig erzählt.

Meine Wertung: ***

Die Optimisten

Die Optimisten

Andrew Miller, Zsolnay, 21,50 Euro

Ein englischer Fotoreporter hat in Ruanda ein grauenvolles Massaker dokumentiert und verzweifelt an den Bildern, die er auf Film gebannt hat und die sich auch aus seinem Kopf nicht mehr vertreiben lassen und ihn daran hindern, in ein normales Leben zurückzufinden. Selbst hilfsbedürftig, beginnt er sich um seine depressive Schwester zu kümmern und errichtet mit ihr in einem baufälligen Cottage eine zerbrechliche Idylle auf Zeit. Glaubwürdige, ernste Charaktere in einer angenehm unspektakulären Handlung geben der sensibel erzählten Geschichte viel Raum für kluge Gedanken über das Sehen und Erkennen, über Wahrheit, Schuld und Gerechtigkeit. 

Meine Wertung: *****

Wenn du schläfst

Wenn du schläfst

Matias Grzegorczyk, Tisch 7, 19,50 Euro

In einer Spezialklinik für Hauttransplantationen trifft der 26-jährige Alex, der nur eine verhältnismäßig leichte Bein-Verletzung hat, auf den bei einem Autounfall am ganzen Körper verbrannten Clemens. Zwischen den beiden Zimmernachbarn entwickelt sich ein atmosphärisch dichtes Kammerspiel, das seine subtile Spannung aus dem bedrohlichen Gefühl gewinnt, einander ausgeliefert zu sein. Insgesamt ein vielversprechendes Romandebüt trotz zwischenzeitlicher Klinikalltagsmonotonie und einem Finale, das ein wenig zu vulgärpsychologisch ausfällt. Ärgerlich: auf einen Korrekturleser wurde für dieses Buch offensichtlich komplett verzichtet.

Meine Wertung: ***

Das Portrait

Das Portrait

Zoe Jenny, Frankfurter Verlagsanstalt, 19,90 Euro

Eine aus armen Verhältnissen stammende junge Künstlerin erhält nach ihrer ersten Ausstellung den lukrativen Auftrag, das Portrait eines wohlhabenden Kunstsammlers zu malen, allerdings unter der sonderbaren Bedingung, dass sie sein Anwesen während der ganzen Zeit nicht verlassen darf. Aus dieser Konstellation heraus soll sich eine bedrohliche Atmosphäre entwickeln, was jedoch aufgrund der mangelnden sprachlichen Dichte und Intensität leider nicht gelingt. Auch der Anspruch, kunsttheoretische Gedanken aus der Handlung abzuleiten, ist zwar zu erkennen, kommt aber schwerfällig und bemüht daher und produziert lediglich abgedroschene Klischees.

Meine Wertung: **

So oder so

So oder so

Jon McGregor, Klett-Cotta, 22,50 Euro

Der Museums-Angestellte David, der schon als Kind mit großer Leidenschaft Gegenstände gesammelt hatte, um deren Erinnerungen über die Zeit zu retten, erfährt als junger Mann, dass er nicht das Kind seiner Eltern ist. Die Hoffnung, seine leibliche Mutter zu finden, wird zur Suche nach einem fehlenden Puzzlestück, das Ordnung und Sinn in sein eigenes Leben bringen könnte. In Rückblicken entwickelt sich, wie durch eine akribische Recherche, eine melancholische Familiengeschichte, deren Verlauf durch „Was wäre, wenn …“-Gedankenspiele raffiniert in Frage gestellt wird und so die Möglichkeit zeigt, jeden Tag wieder, so oder so, neu beginnen zu können.

Meine Wertung: *****

Im Schaufenster im Frühling

Im Schaufenster im Frühling

Melinda Nadj Abonji, Ammann

In ihrem Romandebüt erzählt Abonji die fragile Geschichte einer jungen Frau, deren Gegenwart von Erinnerungen an eine unheilvolle Kindheit durchdrungen ist und von ihr bestimmt wird. Eine fragmentarische Sprache, die sich in Andeutungen und unvollendeten Gedankengängen verliert, unterstreicht die Zerrissenheit der Figur. Der Fantasie des Lesers wird einiges abverlangt, um die losen Enden der Geschichte zusammenzufügen, doch so manches Geheimnis bleibt ohne Auflösung. Ein eher verstörendes Gesamtbild, in dem die Form zu sehr den Inhalt dominiert.

Meine Wertung: **

Tristano stirbt

Tristano stirbt

Antonio Tabucchi, Hanser, 19,90 Euro

Die Geschichte über einen Freiheitskämpfer, der auf dem Sterbebett sein Leben Revue passieren lässt und dabei fast nebenbei ein Bild vom Italien des 20. Jahrhunderts zeichnet, klingt zunächst durchaus vielversprechend. Bereits nach wenigen Seiten Lektüre wird jedoch deutlich, dass der Roman unter der Last seines großen Anspruchs zusammenbrechen muss.  In einem geschwätzigen, endlosen Monolog aus unzusammenhängenden Bruchstücken der Erinnerung werden die interessanten Fragen, was ein Leben ausmacht, wie es erzählt werden kann und warum es so schwer ist, der Wahrheit auf die Spur zu kommen, leider völlig zerredet.

Meine Wertung: **

Nora

Nora

Pia Frankenberg, Rowohlt, 18,90 Euro

Zwei Frauen in New York: Nora, Übersetzerin aus Deutschland in der Midlife Crisis, und Amy, die mit ihrer Bilderbuchfamilie in einer Vorstadtidylle lebt, bis ihr Mann beim Anschlag auf das World Trade Center ums Leben kommt. Als der Zufall die beiden Frauen zusammenführt beginnt Nora, Amy zu verfolgen und ihr Leben zu beobachten, wird zur Stalkerin. Plakative Charaktere in einer psychologisch kaum nachvollziehbaren und dazu einfallslos erzählten Handlung dienen der Autorin, die selbst in New York lebt, offensichtlich als Plattform, um ihre persönliche Meinung über den Terrorismus und das Verhältnis USA/Deutschland zum Besten zu geben.

Meine Wertung: **

Der Entdecker

Der Entdecker

Jan Kjærstad, KiWi Köln, 24,90 Euro

Im letzten Teil der Trilogie begibt sich der einstige „Verführer“ und „Eroberer“ Jonas Wergeland auf eine Entdeckungsreise, in deren Verlauf er sich seiner Vergangenheit stellt und den Fragen nach dem Sinn und Zusammenhang des Lebens nachgeht. Ein Buch wie ein norwegischer Fjord, durch unzählige einzelne Episoden verzweigt, die alle in einer ideenreichen Bilderflut zu einem großen Gesamtkunstwerk zusammenfließen. Unterhaltsam und wunderschön erzählt und in der Lage, einen regelrechten Leserausch auszulösen: die langen Winterabende können kommen!

Meine Wertung: ****

Alle Tage

Alle Tage

Terézia Mora, Luchterhand

Wie eine riesige Fledermaus baumelt eine Gestalt unfreiwillig kopfüber vom Klettergerüst eines verlassenen Spielplatzes. So beginnt der Roman über einen geheimnisvollen jungen Mann aus einem osteuropäischen Land, der, heimatlos und seiner Identität beraubt, zehn Sprachen perfekt beherrscht, sich aber dennoch nicht mitteilen kann, der sich auch auf vertrauten Wegen immer wieder verirrt, der skurille Freundschaften schließt und doch überall ein Fremder bleibt. Ein erzählerisches Labyrinth, magisch anziehend und beklemmend undurchschaubar zugleich.

Meine Wertung: ***

Anna nicht vergessen

Anna nicht vergessen

Arno Geiger, Hanser, 19,90 Euro

Der Österreicher Arno Geiger - vor zwei Jahren für „Es geht uns gut“ mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet - legt nach vier Romanen nun erstmals eine Sammlung von Erzählungen vor. Zusammengehalten werden diese durch das immer wieder zugrundeliegende Motiv der Einsamkeit der Protagonisten, deren gescheiterte Liebesbeziehungen und unverwirklichten Lebensentwürfe. Leider kann nur ein kleiner Teil der qualitativ sehr unterschiedlichen Texte überzeugen, wohingegen eine oft experimentelle Erzählweise eine so kühle, distanzierte Atmosphäre hervorbringt, dass die Inhalte den Leser emotional kaum erreichen und dadurch unberührt lassen.

Meine Wertung: **

Guantanamo

Guantanamo

Dorothea Dieckmann, Klett-Cotta

Eine fiktive Geschichte aus dem unbekannten Inneren des US-Gefangenencamps, basierend auf den Fakten, die durch die Medien bekannt und zugänglich sind. Aktuelle Zeitgeschichte literarisch aufbearbeitet also, womit sich die Frage aufdrängt, worin der Vorzug der künstlerischen Form gegenüber der realen Berichterstattung liegt. Ein intensiveres Erfahren mag erreicht werden können, doch irgendwie fällt es schwer, sich auf diesen Roman überhaupt einzulassen, vielleicht weil er das Thema kaum erhellt, sondern ihm im Gegenteil den Ernst zu nehmen droht.

Meine Wertung: *

Der kurze Traum des Jakob Voss

Der kurze Traum des Jakob Voss

Matthias Göritz, Berlin Verlag, 16 Euro

Die frühen Achtziger, irgendwo in Norddeutschland: Der gescheiterte Kommunalpolitiker Jakob Voss versucht sich mit einer Geflügelfarm als Unternehmer. Unterdessen ist sein pubertierender Sohn, aus dessen Perspektive erzählt wird, mit der erwachenden Sexualität beschäftigt, die er oftmals als erniedrigenden Machtkampf erlebt. Am Tag des einjährigen Farmjubiläums häufen sich die Anzeichen, dass es nicht nur Grund zum Feiern gibt … Eine klare, konzentrierte Geschichte, durch deren Seiten eine klamme Trostlosigkeit kriecht.

Meine Wertung: ****

Falsche Himmel

Falsche Himmel

Liane Dirks, KiWi Köln, 16,90 Euro

Irgendeine Stadt in einer nicht näher bestimmten Zeit in der Zukunft: es hat eine Klimakatastrophe gegeben und nachdem Chaos und Plünderungen sich gelegt haben, formiert sich langsam wieder eine neue Gesellschaftsordnung. Doch welche Werte haben überlebt oder verdienen es, neu entdeckt zu werden? Ist in einer existenziellen Krise, in der es in erster Linie um die Beschaffung von Trinkwasser und Treibstoff geht, noch Platz für die Kunst? Kann man es sich noch leisten, die knappe Nahrung mit einem hoffnungslos kranken Kind zu teilen? Fragen, die längst in die Ethikdebatten unserer Gegenwart hineinwirken, ohne erhobenen Zeigefinger feinsinnig grotesk erzählt.

Meine Wertung: ****

Begrabt mich hinter der Fussleiste

Begrabt mich hinter der Fussleiste

Pawel Sanajew, Kunstmann, 17,90 Euro

Geschichten, die aus der Sicht von Kindern erzählt werden, laufen ja schnell Gefahr, unglaubwürdig und aufgesetzt oder gar kitschig daherzukommen. Ganz anders verhält es sich dankenswerterweise beim Erstlingsroman des russischen Filmemachers Sanajew. Die Schilderungen aus dem Leben des siebenjährigen Sascha, der unter der erdrückenden Fürsorge seiner psychisch kranken, ständig fluchenden Großmutter aufwächst, gewinnen gerade durch die naive kindliche Perspektive eine herrlich groteske Übersteigerung. Zwischen den Zeilen ein kritischer, aber dennoch unbeschwerter Abgesang auf ein starres System gutgemeinter Bevormundung.

Meine Wertung: ****

Der Mord an Harriet Krohn

Der Mord an Harriet Krohn

Karin Fossum, Piper, 18,90 Euro

Im Mittelpunkt dieses norwegischen Krimis steht ein Mann, der seinen Job verloren hat und durch seine Spielsucht hoch verschuldet ist. Seine Frau ist früh gestorben, die Tochter hat sich von ihm abgewandt. Er sieht keinen anderen Ausweg, als eine alte Dame zu überfallen und hofft, mit dem geraubten Geld und Schmuck ganz von vorne anfangen zu können und das Vertrauen seiner Tochter zurückzugewinnen. Neben dem Anspruch, sozialkritisch die Hintergründe der Tat zu beleuchten, ist die erzählerische Perspektive interessant, die sich einmal nicht auf die Polizei und deren Ermittlungen konzentriert sondern ganz nah beim in die Enge getriebenen Täter bleibt.

Meine Wertung: ***

Antonio im Wunderland

Antonio im Wunderland

Jan Weiler, Kindler, 16,90 Euro

Dass Journalisten selten auch gute Schriftsteller sind, beweist einmal mehr Jan Weiler mit dieser Fortsetzung über seinen italienischen Schwiegervater. Eine gemeinsame Reise nach Amerika liefert den Aufhänger für allerlei augenzwinkernde Erkenntnisse im Zusammenprall der Kulturen. So erfahren wir z.B., dass dem Italiener die Familie am Herzen liegt, dass der Deutsche faschistoid seinen Müll trennt und dass in den USA militant gegen Raucher vorgegangen wird. Bleibt nur eine Frage offen: Wie anspruchslos muss man eigentlich sein, um so ein Buch auf die Bestsellerliste zu heben?

Meine Wertung: *

Das bin doch ich

Das bin doch ich

Thomas Glavinic, Hanser, 19,90 Euro

Thomas Glavinic, Autor des Romans „Die Arbeit der Nacht“, schreibt in seinem neuen Buch über Thomas Glavinic, der gerade das Manuskript für „Die Arbeit der Nacht“ eingereicht hat und nun auf dessen Erfolg hofft. Der Autor präsentiert sein Roman-Ich dabei als selbstmitleidigen Hypochonder, der sich zynisch und egozentrisch durch die Wiener Literaturszene bewegt. Für die im Klappentext versprochene aberwitzige Komik im Spiel zwischen Realität und Fiktion fehlt es insgesamt leider an Tempo und Übertreibung, und so bleibt unterm Strich nur eine selbstverliebte Promotion-Aktion für Glavinics Romane, die unermüdlich präsentiert werden.

Meine Wertung: **

Das dunkle Haus

Das dunkle Haus

Saskia Noort, Wunderlich, 17,90 Euro

Als die Sängerin Maria nach einer Abtreibung Morddrohungen erhält, flieht sie zu ihrer Schwester, ins Elternhaus am Meer. Doch auch hier scheint sie nicht sicher vor dem unbekannten Verfolger, zudem kehren böse Erinnerungen an ihre bedrückende Kindheit zurück. Als sich immer mehr unerklärliche Vorfälle ereignen, ihr aber niemand mehr glauben will, beginnt Maria, nicht nur um ihr Leben, sondern auch um ihren Verstand zu fürchten. Unterhaltsamer, spannender Thriller aus den Niederlanden, der auch als unaufdringliches Plädoyer für das Recht auf ein hedonistisches, selbstbestimmtes Leben gelesen werden kann.

Meine Wertung: ***

Von mir aus

Von mir aus

Juan Moreno, DVA, 16,90 Euro

Morenos „Wahre Geschichten“, die regelmäßig als Kolumne in der Süddeutschen Zeitung erscheinen, wirken wie die spanische Antwort auf Wladimir Kaminer, ohne jedoch dessen Originalität zu erreichen. Ein weiterer Beitrag daher zur Nabelschau der Thirty-Somethings, die eigentlich nichts zu erzählen haben, aber umso unermüdlicher vom ganz normalen Alltagswahnsinn berichten. Wer nicht genug bekommen kann von diesen lakonischen kleinen Anekdoten über ein Leben zwischen Fußball, Fernsehen, Fahrradkauf, wird sicher voll auf seine Kosten kommen.

Meine Wertung: ***

Narren des Glücks

Narren des Glücks

Liane Dirks, KiWi Köln, 17,90 Euro

Silvester 1929, eine Insel im Lago Maggiore: ein rauschendes Fest steht im Zentrum der Geschichte über einen wohlhabenden Industriellen, einen Nervenarzt und eine verarmte russische Baronin. Auf der Suche nach Glück, Liebe, Erfolg, treiben sie alle unaufhaltsam auf eine Katastrophe zu… Was als opulenter Höhepunkt gedacht war, markiert den Untergang eines goldenen Jahrzehnts, auf dessen Glanz bereits der Schatten des Faschismus fällt. Ein subtiles Endzeit-Szenario in sprachgewaltigen Bildern, das zugleich die positive Macht der Kunst beschwört.

Meine Wertung: *****

Vielleicht ist es sogar schön

Vielleicht ist es sogar schön

Jakob Hein, PIPER, 16,90 Euro

In seinem dritten Roman erzählt Jakob Hein von Krankheit und Tod  seiner Mutter und vor allem von ihrem Leben - ein sehr persönliches Buch natürlich, fast zu persönlich manchmal, wo die Grenze vom literarischem Erzählen zum Erlebnisbericht verschwimmt. Trotz des ernsten Themas humorvoll und leicht erzählt, ist eine tröstliche Geschichte entstanden, das liebevolle Porträt einer Frau mit ungewöhnlicher Biographie, Moment-Aufnahmen einer Kindheit in der DDR und nicht zuletzt auch ein Einblick in das kuriose jüdische Gemeindeleben in Ost-Berlin.

Meine Wertung: ****

Kontakt: E-Mail